Sabaton - „The Great War“ (2019)

Seit 21 Jahren gibt es die schwedischen Mannen von Sabaton mittlerweile und wie viele gute Bands polarisiert die Combo. Wer knackige, permanent-historisch angehauchte und eingängige Metal-Kompositionen mag, wird Sabaton lieben.

Sabaton - „The Great War“ (2019)
The Great War - Photo Credits: Sabaton

Seit 21 Jahren gibt es die schwedischen Mannen von Sabaton mittlerweile und wie viele gute Bands polarisiert die Combo. Wer knackige, permanent-historisch angehauchte und eingängige Metal-Kompositionen mag, wird Sabaton lieben.

Alle anderen (ob geschichtsfremde Menschen oder nicht) kritisieren die zu einfach gehaltenen Songs und das stetige Setting von Krieg und Metzelei, wobei man man den Gründungsmitgliedern Joakim Brodén und Pär Sundström zu Gute halten muss, dass die Band auch eindeutig und vollumfassend als vertonter Geschichtsunterricht funktioniert, dessen Inhalt inhaltlich in Kopf und Ohr hängenbleibt.

Am 19. Juli 2019 erschien „The Great War“, sinnigerweise begannen die Aufnahmearbeiten genau 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – am 11. November 2018, laut der Band aber ein Zufall. Wie dem auch sei - ob Marketing oder nicht - der Nachfolger des 2016er „The Last Stand“ braucht solche Publicity eigentlich nicht. Sabaton verpacken in der Standard-Edition mit elf Tracks einen metallischen Geschichtsunterricht, der selbst die bisherigen Standards der Band aus dem schwedischen Falun aus der Hüfte heraus toppt. Lange Kompositionen und progressive Elemente darf man hier nicht erwarten - das ist aber auch das einzige, was man Sabaton nachsagen kann. „Schuster bleib’ bei Deinen Leisten“ heißt es auch hier und nur zwei Mal knackt ein Song die Vier-Minuten-Marke.

Sabaton - Photo Credits: Sabaton

Das Album startet mit „The Future of Warfare“, der die Schlacht bei Flers–Courcelette ab dem 01. Juli 1916 beschreibt und andeutet, wie sehr der erste wirklich technische Krieg mit vollautomatisierten Waffen als schnelle Lösung und „Zukunft der Kriegsführung“ angesehen wurde. Stimmiger Opener, der schon mal als Appetit-Happen auf das restliche Album Stimmung macht und zeigt, wie weit die Erwartungshaltung doch vom Verlauf des Krieges abwich. Episch wird es, wenn direkt danach in „Seven Pillars of Wisdom“ die Geschichte von Lawrence von Arabien besungen wird, das musikalisch ebenfalls absolut fesselnd ist und die Geschichte rund um Lawrence während des Ersten Weltkrieges hymnenartig vertont.

Apropos „Hymnen“ - Sabaton stehen für Helden-Glorifizierung und Hymnen per excellence, das haben die Männer schon auf den vorherigen Alben bewiesen und natürlich findet sich auch auf „The Great War“ keine Ausnahme, da die Geschichte der jeweiligen Protagonisten so lebendig erzählt wird, als wäre man live dabei - inklusive des Heldenmythos respektive der Taten, die den einzelnen Soldaten unsterblich gemacht haben. Hier reiht sich auch „82nd all the Way“ ein, die sich um Alvin Cullum York und die Geschehnisse rund um den 7. Oktober 1918 drehte. In den Argonnen bei Chatel-Chéhéry „erledigte“ York beim Versuch, ein MG-Nest auszuheben, sechs deutsche Soldaten mit einer Pistole, worauf sich am Ende 132 ergaben.

"The Great Tour 2020" (Oberhausen, Germany) - Photo Credits: Sabaton

Track Nummer vier, „The Attack of the dead Men“, erzählt die Geschichte des Angriffs auf die Festung Osowiec am 6. August 1915, wo Chlorgas eingesetzt wurde und die Verteidiger fast komplett getötet worden waren. Nachdem die deutschen Angreifer ohne Gegenwehr erwartend die Festung stürmten, wurde man von blutigen, halbtot aussehenden Soldaten angegriffen, die ob ihres Aussehens die Angreifer vertrieben. 60 bis 70 Soldaten, die die erste Chlorgaswelle schwer verletzt überlebt hatten, trieben so die Angreifer in die Flucht und bezahlten am Ende auch den höchsten Preis.

„Devil Dogs“ ist eine Hommage an die US-Marines und die Schlacht im Wald von Belleau zwischen dem 1. und dem 26. Juni 1918. Einem Mythos zufolge wurden die US-Marines durch die deutsche Seite als „Devils Dogs“ (Teufelshunde) bezeichnet. Die Heldenverehrung geht im Anschluss weiter und eine weitere Legende erhebt sich sprichwörtlich in die Lüfte: Sabaton besingen nun Manfred Freiherr von Richthofen, den „roten Baron“, der auf deutscher Seite bis zu seinem Tod im Ersten Weltkrieg als einzelner Pilot die höchste Zahl an Luftsiegen errungen hatte und bis heute als Synonym für einen tollkühnen, heldenhaften Piloten gilt. Der Refrain sagt es schon: „Higher!“

„Great War“ folgt nun als Track Nummer 7 und ist in meinen Augen einer der Höhepunkte dieses Albums - Joakim Brodéns Texte führen einem erneut die Sinnlosigkeit dieses (des) Krieges vor Augen und versetzen den Hörer in die Perspektive der Beteiligten, moralisch wie handlungstechnisch. Musikalisch perfekt untermalt fragen Sabaton hier offen: „Where is this greatness I've been told? This is the lies that we've been sold? Is this a worthy sacrifice?“. Gänsehaut pur, orchestraler als sonst gewohnt unterlegt - Highlight!

„A Ghost in the Trenches“ erzählt dann von Francis Pegahmagabow, der als „Geist der Schützengräben“ und Scharfschütze und Späher 378 Deutsche getötet und 300 weitere gefangen genommen haben soll. Die Songzeile „Pegamahgabow invoked the spirits of the wind“ bezieht sich übrigens auf den Wind, der wegweht - als indianischer Ureinwohner wurde er „Binaaswi“ genannt, was genau diesen Satz bedeutet. Mit „Fields of Verdun“ folgt dann direkt der nächste Kracher, der („descending to darkness…“) perfekt beschreibt, wie die Menschheit sich im Ersten Weltkrieg in ihre dunkelste Stunde begab - Verdun als Synonym für die Tragödie des Erstes Weltkrieges in Frankreich wird speziell durch die Zeile „Father and Son, fall one by one, under the gun, thy will be done“ hervorgehoben und lässt einen noch nachdenklicher zurück.

Es geht dem Endspurt zu: „The End of the War to end all Wars“ erzählt über die Folgen des Krieges, der geführt wurde, um „alle anderen Kriege zu beenden“ und zeugt vom Scheitern der Menschheit nicht nur in diesen Zeiten. Besonders orchestral unterlegt ist es ein relativ ruhiger Track, der aber schon einmal auf den völlig unerwarteten Abschluss von „The Great War“ hinarbeitet - die Klimax ist fast erreicht, doch da ist noch das berühmteste Gedicht des Ersten Weltkrieges, von Sabaton in einer untypischen nicht-Metal und ausschließlich (!) choralen Version zum Schlusspunkt des Albums erkoren. Geschrieben vom kanadischen Arzt und Soldaten John McCrae aus Trauer um einen Freund und Kameraden, ist „In Flanders Fields“ sicherlich das literarische Sinnbild des Ersten Weltkrieges. Hier braucht es keine Gitarre, keine Drums - der Text wirkt für sich und rührt bis heute, ist er doch auch Pate für den Klatschmohn (die „Poppies“), die als Sinnbild an vielen Gräbern und Gedenkstätten zu finden sind.

In Flanders fields the poppies blow,
Between the crosses, row on row
That mark our place; and in the sky
The larks, still bravely singing, fly
Scarce heard amid the guns below.
We are the Dead. Short days ago
We lived, felt dawn, saw sunset glow,
Loved and were loved, and now we lie
In Flanders fields.
Take up our quarrel with the foe:
To you from failing hands we throw
The torch; be yours to hold it high.
If ye break faith with us who die
We shall not sleep, though poppies grow
In Flanders fields.

Fazit: Für mich hatte bereit letztes Jahr „The Great War“ die Klasse, als Album des Jahres zu fungieren - ein Jahr nach dem Release kann ich das nur unterstreichen: Das Album klingt nach wie vor frisch, das Thema „Erster Weltkrieg“ ist immer noch omnipräsent und wer sich jemals die „Flanders Fields“ in Belgien oder Verdun angeschaut hat, wird die Geschichte in den Songs nahezu greifen können. Obwohl WW1 für viele eher weniger griffig ist als die Grauen des Zweiten Weltkrieges, bringt dieses Album und speziell die wirklich sehr gut kommentierte „History“-Version die mittlerweile seit 102 Jahren beendete menschliche Tragödie (ca. zehn Millionen Todesopfer und etwa 20 Millionen Verwundete auf Seiten der Soldaten, die Schätzung der zivilen Opfer beläuft sich auf weitere sieben Millionen) wieder in den Fokus.

Dass die Menschheit nichts gelernt hat, zeigte sich bereits 21 Jahre später. Wider dem Vergessen und danke an Sabaton für dieses musikalische wie textliche perfekte Album, das einmal mehr die Messlatte für die Kollegen aus Falun auf einen neuen Best-/Höchstwert legt - das wird schwer zu toppen sein! Musikalisch wagt man bis auf die letzten beiden ruhigeren Tracks keine Experimente und bleibt der Sabaton-Linie treu - für mich persönlich ist das auch gut so und für viele Sabaton-Fans ebenso. Wer die Band bisher aufgrund der Musik oder dem historischen Setting nicht mochte, wird auch durch „The Great War“ nicht damit anfangen, sie zu mögen. Alle anderen dürfen dieses Album, was definitiv den Höhepunkt in Sabatons Schaffenskraft darstellt, feiern und sich in stillem Gedenken die „Poppy“ ans Revers heften!

Lest we forget.